Wie in der Musik, so im Leben

Dieser Artikel erschien 2017 in der Zeitschrift „Das Wesentliche“

Musik ist weitaus mehr als eine „Geschmackssache“ – ihr wohnen magische Kräfte inne

Früher, in der Antike, ging man davon aus, dass nicht die Gesellschaft eine bestimmte Art von Musik hervorbringt, sondern dass – genau umgekehrt – die Musik eine ganze Nation kulturell, sozial, wirtschaftlich und politisch formt und prägt. Also auch in der Lage ist, auf den Zustand eines Landes entscheidend einzuwirken, auf dessen Erblühen oder dessen Verfall. Wie in der Musik, so im Leben. Dieses Axiom, welches für die Dynastien des alten China zum Beispiel selbstverständlich war, kann Musik aus ihrem Elfenbeinturm befreien, in den sie durch die Skepsis gegenüber ihrer Zauberkraft, die Furcht vor ihrer Macht und die damit einhergehende Verantwortung, angemessen mit ihr umzugehen, vielfach gedrängt wurde. Denn indem sie auf eine geschmackliche Angelegenheit reduziert wird, verlieren wir eine Dimension aus dem Blick, die weit über die emotionale Befriedigung des einzelnen Hörers oder die gelegentliche musiktherapeutische Anwendung hinausgeht.

Kaiser Schun, der im Schu-djing, einem alten chinesischen Text erwähnt wird, bereiste einmal im Jahr die chinesischen Provinzen, um sich persönlich ein Bild über den Zustand seines Landes zu machen. Dies tat er jedoch nicht anhand der Untersuchung von Verwaltungsberichten, Petitionen oder Wirtschaftsreporten, sondern er prüfte die Tonhöhe der in den jeweiligen Provinzen gespielten Musik. Stimmten sie mit den fünf Tönen der alten chinesischen Tonleiter überein, die er sich auf acht verschiedenen Musikinstrumenten von seinen Musikern vorspielen ließ, befanden sich die Menschen in einer moralischen und charakterlichen Balance, so die Überzeugung des Kaisers. Demnach waren auch alle anderen Angelegenheiten in dieser Provinz, wie z.B. der Lebensstandard, die Bildung oder die soziale Kultur in einem stabilen Zustand. Wichen die Tonhöhen hingegen von den Urtönen ab, so musste es auch kritisch um die jeweilige Region stehen.

Die alten Chinesen waren der Ansicht, dass ganze Zivilisationen durch die vorherrschende Musikweise geprägt wurden. Heitere Musik brächte heitere und gesunde Menschen hervor, kraftvolle und militärische Musik stärke den Nationalstolz (und die Bereitschaft zum Krieg), romantische Musik wirke sich friedlich auf ein Volk aus. Demnach führte eine Veränderung der Musik unweigerlich zu einer Veränderung der Lebensweise.

Der kosmische Ton

Und welchen Maßstab setzte man zur Einschätzung der Musik an? Den höchsten, nämlich den sogenannten „kosmischen Ton“. Nicht nur im alten China, auch in den alten Kulturen Indiens, Ägyptens oder Griechenlands war man der Auffassung, dass das ganze Universum aus dem einen Urklang erschaffen worden ist, dass alles Schwingung ist und jedes Lebewesen, jeder Gegenstand, jeder Planet, ein Echo der Urschwingung ist. Der Musik kam demnach die Aufgabe zu, sich akustisch dem Urton anzunähern und ihn soweit wie möglich in der materiellen Welt wiederzugeben. Im Hinduismus findet sich dieser Urklang im „OM“ wieder. Umso bedeutsamer ist es, dass man die irdischen, durch Sprache und Musik erzeugten Töne als eine Reflektion dieser Urschwingung ansah und der Musik daher den höchsten Stellenwert gab. So war das bedeutendste Amt im alten China auch das des Musikministers, der die Aufgabe hatte, die Instrumente auf die Schwingung des kosmischen Tons einzustimmen und darüber hinaus alle anderen Ämter daraufhin zu überprüfen, ob sie dem im Einklang mit der kosmischen Schwingung befindlichen Geist entspringen.

Den kosmischen Ton entnahm man den Klängen der Natur. Einer Legende nach schnitzte der Musikbeamte Lin Lung so lange an seinen Rohrpfeifen, bis ihre Töne mit denen des Gesangs eines Phönixpärchens übereinstimmten, woraus er mittels gewissenhafter Berechnungen die Urpfeife  „Huangzhong“, die „gelbe Glocke“, herstellte. Zur Zeit der T‘ang Dynastie (618-907 n. Chr.) unterhielt man am Hofe vierzehn, aus jeweils fünfhundert bis siebenhundert Musikern bestehende Orchester. Man kann davon ausgehen, dass diese Orchester nicht nur zur Unterhaltung gedacht waren, sondern einer viel gewichtigeren Aufgabe überantwortet waren, nämlich ein möglichst kraftvolles, musikalisches Schwingungsfeld aufzubauen, bei dem eine mit dem Urklang übereinstimmende Schwingungsenergie reflektiert wird, die sich positiv auf die Menschen und Belange des Landes auswirken kann. Somit wurde der Musik eine im höchsten Maße ethische Bestimmung zuteil, wie sie zum Beispiel Konfuzius, der selbst eine Reihe von Musikinstrumenten beherrschte, in seinen Lehren beschrieb.

Der geheime Einfluss der Musik im Abendland

Welche tieferen Auswirkungen hat nun die Musik in Europa auf die Gesellschaft und die Entwicklung der abendländischen Zivilisation gehabt? Cyril Scott, ein Zeitgenosse und Freund Debussys und ein (leider in nahezu Vergessenheit geratener) Komponist und Autor, legt in seinem Buch über den geheimen Einfluss der Musik über die Jahrhunderte dar, wie zum Beispiel Händels Musik den Zustand des sittlichen Lebens in England von Grund auf umgestaltete. Händels Ehrfurcht und Ehrerbietung, nahezu heilige Scheu erweckende Musik ließ das moralische Pendel von dem einen Extrem der Sittenlosigkeit zum anderen Extrem der puritanischen Frömmigkeit schwenken, die dann im viktorianischen Zeitalter tonangebend war. Vor allem Händels Oratorien, gewaltige Werke religiösen Ausdrucks, waren in England unglaublich populär und hatten in Bezug auf ein neues Frömmigkeitsbild dort unglaublichen Einfluss.

Die Musik Johann Sebastian Bachs hingegen, die zwar ebenfalls eine gewisse Ehrfurcht und religiöse Gefühle erweckte, wirkte eher auf die Denkweise und Geistesrichtung ein. Ihre mathematische Klarheit und Vielschichtigkeit sprach vor allem die Mentalebene an, sodass sich eine verstärkte Verstandesbetonung in Deutschland ausbreitete, was bedeutende Philosophen, Dichter und Denker hervorbrachte, aber auch einen fruchtbaren Boden für das nachfolgende und äußerst produktive Komponistenschaffen bereitete.

Die Befreiung aus der verstandesbetonten Enge und dem puritanischen Dogmatismus oblag schließlich Mozart auf der einen und Beethoven auf der anderen Seite. Während ersterer Empfindsamkeit und Leichtigkeit in seiner Musik hervorkehrte, berührte letzterer unmittelbar das Gefühlszentrum, welches unter der doktrinären Schwere jener Zeit verborgen lag und durch die Emotionen hindurch in das mitfühlende Herz drang. Beethovens Musik rief in einem noch nie da gewesenen Maße das Mitempfinden hervor. Man begann die Menschen, die „auf Abwege geraten waren“, nicht mehr der sittlichen Konventionen nach zu verurteilen, sondern mitfühlend zu betrachten, was schließlich zum vermehrten Auftreten diverser Hilfseinrichtungen und zur Entstehung der Psychoanalyse führte. Beethovens Musik befreite die Individuen kollektiv aus den Fesseln unreflektierten Pflichtbewusstseins und überfrommen Gehorsams. Sie rührte die Menschen buchstäblich zu Tränen.

Musik wirkt darüber hinaus

Der Einfluss der Musik großer Komponisten auf die Entwicklung der Gesellschaft setzt sich fort. Auf Beethoven folgte Mendelssohn, der das Mitempfinden auf eine weniger aufwühlende Art förderte, Chopin, der zur geistigen Verfeinerung der Seele verführte und die Emanzipation anstieß, Schumann, der das Kindliche betonte und damit die bislang vernachlässigte Stellung und die Eigenständigkeit des Kindes ins Bewusstsein brachte, Wagner, der in seiner positiven Wirkung das spirituelle Verständnis der Einheit in allem Sein hervorkehrte, Debussy, der die Natur und ihre feinstofflichen Erscheinungen in seiner Musik widerspiegelte und damit sozusagen Wegbereiter eines ökologischen Bewusstseins war – sie alle (und natürlich noch mehr) waren durch ihre Musik, die sie komponierten, dem jeweiligen Zeitgeist voraus und brachten ihn mit hervor. Auch wenn sich viele von Ihnen selbst als ein „Instrument Gottes“ betrachteten, so waren sie sich der viel umfassenderen Wirkung ihrer Musik, die ja meist über ihren Tod hinausreichte, sicherlich nicht in dem Maße bewusst, wie wir es im Nachhinein erkennen können.

Genauso wie im alten China das tausendköpfige Orchester einem viel weitreichenderen Zweck zu dienen hatte, wirkt auch ein Konzert, in dem die großen Werke der abendländischen Meister gespielt werden, über den unmittelbaren Einfluss auf den einzelnen Zuhörer weit hinaus. Die Schwingungen der Musik und die darin enthaltenen „Botschaften“ enden ja nicht an den Mauern des Konzerthauses, sondern verbreiten sich darüber hinaus in die Welt und tun ihre Wirkung, auch wenn das Stück schon längst zu Ende gespielt wurde. Gleiches mag auch für ein Rockkonzert oder eine Technoparty gelten.

Dass Musik also viel mehr als nur Geschmackssache ist und einen Einfluss hat, der weitaus größer ist, als wir es uns tatsächlich vorstellen können, ist faszinierend, beruhigend und bedrohlich zugleich. Man hat zum Beispiel festgestellt, dass sich das Wachstum von Pflanzen durch die Beschallung mit Musik je nach Stil unterschiedlich förderlich oder hinderlich auswirkt – sogar bis zum Absterben. Genauso unterschiedlich reagieren Wasserkristalle: Unter der Beschallung mit Musik von Bach und Mozart formen sie sich zu wunderschönen, leuchtenden und ebenmäßigen Kristallstrukturen. Sie verzerren sich bis zur Unkenntlichkeit bei Musik mit destruktiven Botschaften oder bei Musik, die von nachlässiger Handhabung zeugt.

Auch die Wirkung von Musik auf Gehirn und Organe wurde schon eingehend untersucht (z.B. in Bezug auf Vermeidung und Heilung der Alzheimer Krankheit). Tatsache ist, dass wir uns dem Einfluss der Musik nicht entziehen können. Musik kann sich positiv oder negativ auf uns und unsere Zivilisation auswirken. Was die Frage aufwirft: Wenn Musik solche Kraft hat, sollten wir dann nicht wieder einen wesentlich bewussteren Umgang mit ihr anstreben, ganz so wie es die alten Kulturen getan haben? Welche Art von Musik, seien es nun Sinfonien oder Lieder, ist einer Gesellschaft, die nach Frieden, Balance, Gerechtigkeit und liebevollem Miteinander strebt, dienlich? Wie möchten wir unser Leben gestalten? Und welche Musik unterstützt uns in diesen Bestrebungen?

Welchem Einfluss setzen wir uns tatsächlich aus, wenn wir uns in einer Stadt oder einem Land, bewusst oder unbewusst, mit unzähligen musikalischen Schwingungen bombardieren lassen, die von Radios, Handys, Clubs, Supermärkten, Konzertsälen, Arenen, Kinos und Fernsehern ausgesendet werden? Inwieweit erkennen wir die ethische Verantwortung, die mit der Verwendung von Musik einhergeht? Welchen Nutzen können wir aus der „Magie der Musik“ ziehen? Wie sähe ein Parlament mit hundert Musikministern aus? Wie würden wir dann regiert werden? Und…lässt sich ein Krieg nicht vielleicht dadurch beenden, dass man die sich im Krieg befindlichen Länder oder Parteien mit Beethovens Neunter Sinfonie beschallt?

Wie in der Musik, so im Leben.

Debussy

Claude Debussy (1862 – 1918)

Hintergrund:
Debussy wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Er besuchte nie eine Schule; Lesen und Schreiben lernte er von seiner Mutter. Später wurde er ein renommierter Musikkritiker bei einer der bedeutendsten Zeitungen für Literatur und Kunst in Frankreich. Seine Rezensionen wurden unter dem Pseudonym „Monsieur Croche antidilettante“ sogar als Buch veröffentlicht. Debussy, der seine Musikerlaufbahn ebenfalls als Pianist begann (er studierte 13 Jahre am Pariser Konservatorium), entwickelte schon bald seine eigene Musiksprache, die sowohl von Wagner als auch von außereuropäischen Musikstilen beeinflusst war. Er war ein rechter Quergeist, dessen Kompositionen anfänglich immer wieder auf Ablehnung stießen oder zumindest irritierten. Seinen Durchbruch erlangte er mit dem berühmten Werk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ (Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns), in dem alle Aspekte seiner neuen Tonsprache auftauchen und mit dem Debussy den Ruf als Begründer der Neuen Musik[1] erlangte.

Wirkkraft:
Der Name Claude Debussy ist in der Musik am engsten verbunden mit dem Impressionismus. Zahlreiche Komponisten standen zumindest vorübergehend in einer stilistischen Abhängigkeit von ihm (z.B. DeFalla, Delius, Scott, Reger). Da der Impressionismus jedoch wenig Entwicklungsmöglichkeit bot, stammen die wichtigsten Werke dieser Gattung von Debussy selbst. Debussy wandte sich gänzlich ab von der Funktionsharmonik (Dur-Moll-System) und verwandte, unter anderem inspiriert durch arabische, russische und vor allem javanische Musik (die durch die Pariser Weltausstellung von 1889 bekannt wurde), Ganztonleitern, pentatonische und Kirchentonleitern, Mixturen aus Quart-, Quint und Septakkorden und die Vermeidung von Dissonanzauflösungen – stilistische Mittel, die in diesem Ausmaß vorher unerhört, ja musiktheoretisch sogar „verboten“ waren. Diese neuen Klänge waren nötig, um Musik ohne Bezug zum Menschlich-Weltlichen oder Menschlich-Göttlichen zu erschaffen. Debussys Musik bildet Natureindrücke ab, die den Menschen in ein gesundes Verhältnis zur Natur stellen – nicht als Bezwinger oder Herrscher über die Natur. Viele seiner Stücke haben etwas zutiefst archaisches an sich und scheinen aus jenen fernen Zeiten zu stammen, die den Menschen nur noch als Mythos in Erinnerung geblieben sind (wie z.B. Atlantis) oder in Form von Märchen und Fabeln. In Debussys Musik hört man die unterschiedlichen Erscheinungen der Natur musizieren, in Gestalt entsprechender feinstofflicher Naturgeister (wie z.B. den Faun): den Klang eines Sees oder des Meeres, eines Urwaldes oder einer Bergformation oder eben eines mystischen Volkes. Diese Klänge scheren sich nicht um Logik, Geschmack oder Theorie; sie entstehen einfach, nacheinander und gleichzeitig, präsent und abwesend, gewichtig und nebenher. Daher erzählt Debussys Musik im Grunde nichts (abgesehen von der Oper „Pelléas et Mélisande“, die eine Handlung hat); sie dient vielmehr der Bewusstwerdung oder Freilegung archetypischer Erinnerungen im Menschen, die Psychologen wie C. G. Jung als Folge dann intellektuell ausformulierten. Daher wirkt Debussys Musik manchmal auch so irritierend, weil sie an Ur-Informationen, also auch Urängsten rüttelt, unter Umständen sogar (un)bewusste Erinnerungen an frühere Inkarnationen berührt. Lässt man sich darauf ein, erweckt Debussy jedoch Ehrfurcht vor der Kraft der Natur, zumindest jedoch Respekt, der sich wiederum in einem ökologischen Bewusstsein zeigen kann. Ein plakatives, simplifiziertes Beispiel: Wer Debussy hört, wird seinen Müll nicht in die Natur schmeißen. Oder, etwas nuancierter ausgedrückt: Debussys Musik appelliert nicht an die Gesetze des Menschen, sondern an die Gesetze der (geheimnisvollen, vom Menschen nicht zähmbaren) Natur.

Ausgewählte Werke/Hörempfehlung:
Zugegeben: Debussy ist nicht unbedingt einfach zu hören (sieht man einmal von den wenigen tonal schmeichlerischen Werken wie „Clair de lune“, etc. ab). Einen guten Eindruck von der erwähnten Wirkkraft bekommt man in den Orchesterstücken „Nocturnes“[2] (sehr eindrücklich sind die Sätze „Fetes“ und „Sirènes“). Der Titel der Komposition „La Mer“ spricht für sich. Für die Oper „Pelléas et Mélisande“ mit ihren prosodischen Gesängen braucht man ein wenig „wagnerianische“ Ausdauer; hört man sie jedoch nicht mit der Absicht, melodisch befriedigt zu werden, sondern eher als eine Möglichkeit melodiöser, naturintegrativer Verständigung (wie man sie vielleicht in Atlantis praktizierte), bekommt sie einen ganz eigenen Reiz. Unwahrscheinlich, aber hier dennoch erwähnt: zu viel Debussy macht weltentrückt, neurotisch oder esoterisch verwirrt.

Ähnliche und/oder zeitgenössische Komponisten:
Igor Strawinsky[3], Erik Satie, Maurice Ravel

[1] Als „Neue Musik“ werden die unterschiedlichen Strömungen westlicher Kunstmusik ab Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein bezeichnet.
[2] Als „Nocturne“ bezeichnet man ein elegisches oder träumerisches Charakterstück. Wörtlich übersetzt heißt es „Nacht werdend“ oder „nächtlich“. In Zusammenhang mit Debussy ist es jedoch nicht als einfaches Nachtstück zu deuten, sondern vielmehr als das, was uns im Tagesbewusstsein verborgen bleibt und im Traum als archaische oder unbewusste Erfahrung heimsucht.
[3] Mit „Le sacre de printemps“ gelang Strawinsky ein noch archaischeres, aber auch unheimlicheres Werk.

Aus: „Carpe Musicam oder Wie Musik die Welt erschafft“ (Anhang 2: Musikstile und ihre Wirkung)

Palestrina

Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525 – 1594)

Hintergrund: Palestrina war Organist, Singmeister und Kapellmeister, seit 1571 am Petersdom in Rom. Er gehörte der sogenannten „römischen Schule“ an, in deren Mittelpunkt die päpstliche Kapelle stand. Die päpstliche Kirche wollte polyphone Musik aus der Kirche verbannen, da sie zu Lasten der Textverständlichkeit ging, doch Palestrina gelang es, so raffiniert polyphon zu komponieren, dass der Text verständlich blieb. Man sagt daher, dass durch ihn die polyphone Kirchenmusik gerettet wurde.

Wirkkraft:
Die große Bedeutung von polyphoner Musik wurde in diesem Buch („Carpe Musicam oder Wie Musik die Welt erschafft“, Anm. d. Autors) bereits mehrfach erläutert. Palestrinas Musik ist vorwiegend vokal. Die einzelnen Stimmen verweben sich äußerst kunstvoll und durchsichtig zu einem Ganzen, wobei keine Stimme dominiert. Ganz ähnlich wie im Kanon, nur wesentlich komplexer. Diese Art von Musik wirkt extrem beruhigend auf das Gemüt und den Geist und stillt die Gedanken. Gleichzeitig wirkt sie am Ego vorbei und erweckt religiöse oder yogische (also verbindende) Gefühle. Ihr lateinisch-katholischer Hintergrund kodiert allerdings auch eine gewisse Kirchenhörigkeit, die es beim Hören zu transzendieren gilt.

Ausgewählte Werke/Hörempfehlung:
Palestrina schrieb ziemlich viele Messen, Motetten und Madrigale (weltliche Lieder). Am bekanntesten ist die „Missa Papae Marcelli“ (die eben wegen ihrer Textverständlichkeit so berühmt wurde). Eine sehr schöne Aufnahme ist auf dem Label Naxos erschienen.

Ähnliche und/oder zeitgenössische Komponisten:
Orlando di Lasso, Josquin des Prez, Giovanni Gabrieli, Gesualdo da Venosa

Aus: „Carpe Musicam oder Wie Musik die Welt erschafft“ (Anhang 2: Musikstile und ihre Wirkung)