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Debussy

Claude Debussy (1862 – 1918)

Hintergrund:
Debussy wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Er besuchte nie eine Schule; Lesen und Schreiben lernte er von seiner Mutter. Später wurde er ein renommierter Musikkritiker bei einer der bedeutendsten Zeitungen für Literatur und Kunst in Frankreich. Seine Rezensionen wurden unter dem Pseudonym „Monsieur Croche antidilettante“ sogar als Buch veröffentlicht. Debussy, der seine Musikerlaufbahn ebenfalls als Pianist begann (er studierte 13 Jahre am Pariser Konservatorium), entwickelte schon bald seine eigene Musiksprache, die sowohl von Wagner als auch von außereuropäischen Musikstilen beeinflusst war. Er war ein rechter Quergeist, dessen Kompositionen anfänglich immer wieder auf Ablehnung stießen oder zumindest irritierten. Seinen Durchbruch erlangte er mit dem berühmten Werk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ (Vorspiel zum Nachmittag eines Fauns), in dem alle Aspekte seiner neuen Tonsprache auftauchen und mit dem Debussy den Ruf als Begründer der Neuen Musik[1] erlangte.

Wirkkraft:
Der Name Claude Debussy ist in der Musik am engsten verbunden mit dem Impressionismus. Zahlreiche Komponisten standen zumindest vorübergehend in einer stilistischen Abhängigkeit von ihm (z.B. DeFalla, Delius, Scott, Reger). Da der Impressionismus jedoch wenig Entwicklungsmöglichkeit bot, stammen die wichtigsten Werke dieser Gattung von Debussy selbst. Debussy wandte sich gänzlich ab von der Funktionsharmonik (Dur-Moll-System) und verwandte, unter anderem inspiriert durch arabische, russische und vor allem javanische Musik (die durch die Pariser Weltausstellung von 1889 bekannt wurde), Ganztonleitern, pentatonische und Kirchentonleitern, Mixturen aus Quart-, Quint und Septakkorden und die Vermeidung von Dissonanzauflösungen – stilistische Mittel, die in diesem Ausmaß vorher unerhört, ja musiktheoretisch sogar „verboten“ waren. Diese neuen Klänge waren nötig, um Musik ohne Bezug zum Menschlich-Weltlichen oder Menschlich-Göttlichen zu erschaffen. Debussys Musik bildet Natureindrücke ab, die den Menschen in ein gesundes Verhältnis zur Natur stellen – nicht als Bezwinger oder Herrscher über die Natur. Viele seiner Stücke haben etwas zutiefst archaisches an sich und scheinen aus jenen fernen Zeiten zu stammen, die den Menschen nur noch als Mythos in Erinnerung geblieben sind (wie z.B. Atlantis) oder in Form von Märchen und Fabeln. In Debussys Musik hört man die unterschiedlichen Erscheinungen der Natur musizieren, in Gestalt entsprechender feinstofflicher Naturgeister (wie z.B. den Faun): den Klang eines Sees oder des Meeres, eines Urwaldes oder einer Bergformation oder eben eines mystischen Volkes. Diese Klänge scheren sich nicht um Logik, Geschmack oder Theorie; sie entstehen einfach, nacheinander und gleichzeitig, präsent und abwesend, gewichtig und nebenher. Daher erzählt Debussys Musik im Grunde nichts (abgesehen von der Oper „Pelléas et Mélisande“, die eine Handlung hat); sie dient vielmehr der Bewusstwerdung oder Freilegung archetypischer Erinnerungen im Menschen, die Psychologen wie C. G. Jung als Folge dann intellektuell ausformulierten. Daher wirkt Debussys Musik manchmal auch so irritierend, weil sie an Ur-Informationen, also auch Urängsten rüttelt, unter Umständen sogar (un)bewusste Erinnerungen an frühere Inkarnationen berührt. Lässt man sich darauf ein, erweckt Debussy jedoch Ehrfurcht vor der Kraft der Natur, zumindest jedoch Respekt, der sich wiederum in einem ökologischen Bewusstsein zeigen kann. Ein plakatives, simplifiziertes Beispiel: Wer Debussy hört, wird seinen Müll nicht in die Natur schmeißen. Oder, etwas nuancierter ausgedrückt: Debussys Musik appelliert nicht an die Gesetze des Menschen, sondern an die Gesetze der (geheimnisvollen, vom Menschen nicht zähmbaren) Natur.

Ausgewählte Werke/Hörempfehlung:
Zugegeben: Debussy ist nicht unbedingt einfach zu hören (sieht man einmal von den wenigen tonal schmeichlerischen Werken wie „Clair de lune“, etc. ab). Einen guten Eindruck von der erwähnten Wirkkraft bekommt man in den Orchesterstücken „Nocturnes“[2] (sehr eindrücklich sind die Sätze „Fetes“ und „Sirènes“). Der Titel der Komposition „La Mer“ spricht für sich. Für die Oper „Pelléas et Mélisande“ mit ihren prosodischen Gesängen braucht man ein wenig „wagnerianische“ Ausdauer; hört man sie jedoch nicht mit der Absicht, melodisch befriedigt zu werden, sondern eher als eine Möglichkeit melodiöser, naturintegrativer Verständigung (wie man sie vielleicht in Atlantis praktizierte), bekommt sie einen ganz eigenen Reiz. Unwahrscheinlich, aber hier dennoch erwähnt: zu viel Debussy macht weltentrückt, neurotisch oder esoterisch verwirrt.

Ähnliche und/oder zeitgenössische Komponisten:
Igor Strawinsky[3], Erik Satie, Maurice Ravel

[1] Als „Neue Musik“ werden die unterschiedlichen Strömungen westlicher Kunstmusik ab Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hinein bezeichnet.
[2] Als „Nocturne“ bezeichnet man ein elegisches oder träumerisches Charakterstück. Wörtlich übersetzt heißt es „Nacht werdend“ oder „nächtlich“. In Zusammenhang mit Debussy ist es jedoch nicht als einfaches Nachtstück zu deuten, sondern vielmehr als das, was uns im Tagesbewusstsein verborgen bleibt und im Traum als archaische oder unbewusste Erfahrung heimsucht.
[3] Mit „Le sacre de printemps“ gelang Strawinsky ein noch archaischeres, aber auch unheimlicheres Werk.

Aus: „Carpe Musicam oder Wie Musik die Welt erschafft“ (Anhang 2: Musikstile und ihre Wirkung)